Die wilden Pferde des Widders zähmen

Von Dana Gerhardt

bluehorsesImagine the way
those horses came
plunging and foaming
like a race undammed,
and how the
hot hooves crashing
scoured down
the hills of Thrace.

Fed by an unheard-of hunger.

(Deborah Warren, “Hercules’ Eighth Labor: The Man-Eating Mares of Diomedes”) [1]

Für seine Widderarbeit musste Herkules die vier wilden Pferde fangen und zähmen, die Mars seinem sterblichen Menschensohn, dem barbarischen König Diomedes von Thrakien, geschenkt hatte. Die Streifzüge von Diomedes’ widerspenstigen Stuten durch Thrakien glichen einem Erdbeben: die Tiere zerstörten Städte, sie verschlangen die Flüsse und schleiften die Berge. Unter den verängstigten Thrakiern verbreitete sich das Gerücht, dass die Stuten sogar Menschenfleisch fressen würden.

Meine Erfahrung im Umgang mit Archetypen sagt mir, dass die Pferde symbolisch für die rohe Vitalität des Widders stehen. Aber ihre dunkle Wut passt nicht recht in dieses Bild. Ich kenne zwar ein paar hitzköpfige Widder (die waren wirklich zum Fürchten), aber normalerweise verbinde ich sonnigere Bilder mit diesem Zeichen. Widder ist der Freudensprung, der Gipfelstürmer, die vor Anstrengung und Lachen geröteten Wangen. Das ist der Drang, Erster zu sein, „Jippie!“ zu schreien, sich eine Geliebte zu packen und mit ihr in den Laken zu ringen. Das ist der Schlag, mit dem ein Baseballstar eine ganze Runde bis ins Ziel schafft. Das ist das Kleinkind, das beim Erreichen eines neuen Meilensteins ruft: “Ich hab’s geschafft!“ Das ist der Forscher, der sich ohne Landkarte in ein unglaubliches Abenteuer stürzt.

Bei Null Grad Widder überquert die Sonne auf ihrem Weg nach Norden den Äquator; dieser Punkt markiert den Anfang des tropischen Tierkreises, und er läutet in der nördlichen Hemisphäre den Frühling ein. Er bringt wärmere Tage, erneuerte Vitalität, neues Wachstum und neuen Optimismus. Widder steht im Horoskop für den Bereich, in dem wir ein Talent für Neuanfänge haben, neue Wege gehen, und Aufspringen, wenn uns eine Eingebung packt. Widder ist die pure Energie der Lebenskraft. Das ist eine der Bedeutungen seines Symbols: Eine einfache Linie verzweigt sich zu zwei Widderhörnern.

symbolWenn Sie zum folgenden Bild meditieren, werden Sie die Essenz des Widdergeists überall in Ihrer Umgebung entdecken. Setzen Sie sich vor eine einfache Zimmerpflanze. Wenn Sie genügend entspannt sind und wahrnehmen können, was in diesem Moment ist, werden Sie die klare Lebensenergie bemerken, die den Pflanzenstiel aufrecht hält und durch die Blätter hinaus in den Raum und dem Licht entgegen schiesst, dieses erreicht, erkundet und verfolgt. Mit etwas Übung können Sie auch im eigenen Körper diese Kraft fühlen, wie sie die Wirbelsäule hinaufsteigt und sich beim Scheitel oben aufteilt, so wie die Hörner des Widders. Das ist das Widdersymbol in Ihnen selbst, es hält die Leuchtkraft Ihres „Ich bin!“ aufrecht.

Null Grad Widder ist auch ein Eckpunkt im Welthoroskop. Ohne Geburtszeit hat die Welt zwar kein richtiges Horoskop. Doch die Null Grade kardinal haben sich mundan als sensible Punkte erwiesen; Transite darüber markieren wichtige kulturelle Wendepunkte, sie beschleunigen die Flut globaler Ereignisse. Wenn Null Grad Widder in einem persönlichen Horoskop durch eine Halbsumme oder einen Aspekt tangiert wird, kann es eine Verbindung zu den kollektiven Ereignissen geben. Vielleicht erhöht sich die eigene Berühmtheit oder das persönliche Schicksal vermischt sich mit historischen Entwicklungen. Null Grad Widder ist gegenwärtig besonders wichtig, weil drei von vier geistigen Planeten diesen Grad überschreiten. Pluto in Steinbock hat kürzlich ein Quadrat dazu gebildet (2008; Anm. d. Red.), Saturn in Waage wird ihm gegenüberstehen (2009/2010; Anm. d. Red.), und Uranus in den Fischen ist dabei, später eine Konjunktion dazu zu machen (2010/2011; Anm. d. Red.). Was werden diese Transite über den Widderpunkt wohl bewirken? Werden sie Neuanfänge inspirieren? Ein neues Abenteuer entfachen? Oder werden sie die wilden Pferde des Diomedes entfesseln?

Der Widderschatten

Nun, normalerweise können wir davon ausgehen, dass die Welt uns die am wenigsten schlimmen Potentiale eines Transits präsentiert. Als Pluto im letzten November sein letztes Quadrat zum Widderpunkt hatte, betraten König Diomedes und seine menschenfressenden Rosse die Bühne (2008; Anm. d. Red.). Mit unglaublicher Kühnheit verbreitete eine Gruppe von Terroristen Chaos und Tod in den Strassen von Mumbai. Sie feuerten mit Kalaschnikow Maschinenpistolen wahllos aus der Hüfte auf Menschen in Hotels, Cafés, Theatern und Bahnhöfen. Die Belagerung dauerte mehrere Tage. Zur selben Zeit, aber einen halben Globus weiter, wurde ein Wal-Mart-Kaufhausangestellter von einer Horde von Black Friday Kunden zertrampelt beim Sturm auf billige Elektronikware. Jdimytai Damour – er wurde von Freunden als Familienmensch und Gedichteliebhaber beschrieben – wurde im Green Acres Einkaufszentrum getötet, weil eine wartende Menge zum Mob wurde, an die Türe des Ladens schlug und stiess, bis sie zerbrach. Plutotransite zielen mit Laserschärfe dorthin, wo Reinigung und Transformation am dringendsten sind. In diesem Fall auf die dunkle Seite von Widder – seine egozentrische Rücksichtslosigkeit, Brutalität und Gier – die Schattenseite, die Widder bei sich selber nicht mögen.

Die wenigsten von uns mit Widderplaneten haben als Schattenseite diese Rücksichtslosigkeit oder Gewalttätigkeit, aber die meisten verbergen ein paar dunkle Züge. Dies ist eine hervorragende Zeit, um unbewusstes Widderverhalten zu erforschen, da in den nächsten Jahren die Widdergrade durch Pluto, Saturn und Uranus aktiviert werden. Transite der äusseren Planeten haben die unangenehme Gewohnheit, Unbewusstes an die Oberfläche zu holen. Es ist eine Art himmlische Gefälligkeit – eine Gelegenheit, alte Wunden zu erkennen und zu heilen, Abwehrhaltungen aufzulösen und unsere „göttlicheren“ Werte umfassender auszudrücken. Der Weg zur Heilung ist aber oft holprig, wenn er über Transite erfolgt. Es dürfte sich also lohnen, sich im voraus damit zu beschäftigen: Wie kann sich die sonnige Widdervitalität überhaupt in schwere Körperverletzung verwandeln? Was weckt den inneren Diomedes in uns?

Ein Widderfreund erzählte mir einmal: „Du musst eines wissen über die Menschen: Insgeheim will jeder die Scheisse aus einem andern herausprügeln.“ Ich war bestürzt. Nick ist Buddhist. Und obwohl wir uns dann schnell darauf einigten, dass alle Menschen Mitgefühl verdienen, erhaschte ich doch einen flüchtigen Blick auf eine forsche, streitsüchtige Welt, so wie Nick sie durch seine Widderaugen sah.

Nick meditiert täglich. Aber seine spirituelle Praxis kann sich sehr schnell verflüchtigen, wenn eine Yogaklasse oder ein Parkplatz – die auf mich absolut ruhig wirken – bei ihm plötzlich zu einer Bedrohung, einem Wettbewerb oder zu einer hochriskanten Herausforderung werden. Der Herrscherplanet des Widders ist der Kriegsgott Mars. warriorMars lebt auf einem Schlachtfeld, und es scheint, als tue dies auch mein Widderfreund. Wenn Planeten weder blosse Zeichen auf dem Papier noch steinige und gasförmige Himmelskörper im Weltall sind, sondern Symbole, durch die die Götter uns anhauchen, dann ist Nick vielleicht der, der er ist, weil Mars ihm ständig Anweisungen in seine Psyche flüstert und in seinen Träumen die Schwerter wetzt. Mars ist ein Krieger, mutig, stark und hitzig. In der Hitze des Gefechts handelt er intuitiv und subjektiv, er bewegt sich wie ein Lauffeuer durch den Wald. Seine Aufwallungen kommen und gehen ebenso schnell. Er ist eine Bestie, ungestüm, ungeduldig und von Instinkten gesteuert. Seine Feinde zu übertrumpfen und Geliebten nachzustellen sind jene Leidenschaften, die seine Welt sowohl aufregend als auch gefährlich machen. Sein Schwert und sein Schild stehen immer griffbereit.

Herkules muss diese von Mars beherrschte Welt betreten, um seine Widderarbeit zu vollbringen. König Eurystheus will, dass Diomedes’ zerstörerische Stuten in ihrem Tun gestoppt werden. Diese Arbeit könnte eine ganze Armee benötigen, aber Herkules versammelt eine Truppe von ihm gleichgesinnten Hitzköpfen, die zu allem bereit sind. Sie stürmen auf ihre Boote und segeln nach Thrakien.

Übermütig entern sie den Strand und überwältigen in einem überraschend schnellen Sieg die Stallknechte und fangen die Pferde. Es geht alles viel zu einfach – bis zu dem Zeitpunkt, als König Diomedes die Nachricht vernimmt. Als echter Sohn seines Vaters hat Diomedes Mars’ zorniges Temperament und eine eindrucksvolle Armee. Herkules macht sich bereit für das Zusammentreffen. Er wirft die Zügel der Stuten seinem Knappen Admetos zu und begibt sich mitten ins Getümmel. Der Kampf ist brutal, blutig und hart; es ist ein Hin-und-Her um die Vormachtstellung. Am Ende ist Herkules siegreich. Der barbarische König ist tot. Als Herkules zu seinen Schiffen zurückkehrt, entdeckt er, dass die Stuten verschwunden sind und Admetos tot, zerrissen und zertrampelt von den wilden Tieren. Herkules verfolgt sie und unterwirft alle vier mit rasender Prügelei. Wieder zurück bei den Schiffen, verfüttert er ihnen das Fleisch ihres früheren Besitzers. Erst das Fressen von Diomedes vermag sie schließlich ganz zu zähmen.

Das Geschenk und der Fluch von Mars

Oft wird gesagt, Widder seien auf Ärger aus. Der Wahrheit näher kommt vielleicht die Aussage, dass Widder nur ihre Aufgabe erfüllen, nämlich ihren Kampfgeist zu meistern: das Geschenk und der Fluch von Mars. Ich habe mich im Lauf der Jahre mit einigen Widdern herumgeschlagen, unter anderen mit Georgette, einer Abteilungsleiterin während meines Jobs bei einem Konzern. Ich war als Beraterin engagiert worden, um die Leistung ihres Teams zu verbessern. Sie war neu auf dem Posten, und das obere Management wollte ihren Lernprozess vorantreiben. Einen Widder über irgendetwas zu beraten, ist nicht einfach. Aber ich bemühte mich, sie beim Aufbau einer erfolgreichen Gruppe zu unterstützen. Über Nacht wurde die Abteilung zu einem Kriegsgebiet, mit brennenden Blicken, Geflüster und privaten Treffen. Die Mitarbeiter hatten Angst, mit mir gesehen zu werden. Georgette grenzte mich aus. Ihr Feldzug dauerte sechs Wochen. Ich kreuzte jeden Tag auf, sass in meiner Arbeitsnische, die neben ihrer lag, und kritzelte etwas auf ein Blatt, um meinen Stundenansatz zu verdienen. Eines Tages gab sie schliesslich bekannt, dass sie den Konzern verlassen würde, um Lehrerin zu werden. Innerhalb einer Stunde nach ihrem Rücktritt bekam ich ihren Job, der doppelt so gut bezahlt war wie mein Beratungsmandat.

Ich hatte gewonnen, indem ich nur wenig tat, etwas, das ein Widder wohl schwer verstehen kann. Widder sind tatorientiert, aktiv. Der Widder ist ein Macher, und oft genug dreht er sich selber einen Strick daraus. Und obwohl Georgette mein Leben schwer gemacht hatte, erinnere ich mich gern und sogar mit Bewunderung an sie. Ich sehe immer noch ihre geröteten Wangen, abwechslungsweise lachend oder wütend. Sie war gross und stark, wie eine Athletin. Wäre das Bürogebäude von einem Erdbeben heimgesucht worden, wäre ich glücklich gewesen, sie in meiner Nähe zu haben. Dennoch war etwas sehr Verletzliches in ihren Augen. Sie wirkte wie ein Kind, das Erwachsensein spielt, und dies auch tapfer tat. Sie trat einen Job an über den sie nichts wusste, und sie verliess ihn wieder, um eine neue Herausforderung anzunehmen. Georgette fürchtete sich nicht, sich wieder und wieder neu zu orientieren. Aber ihre Empfindlichkeit liess sie Gefahren sehen, wo keine waren. Sie schoss und wehrte ab, griff an und verteidigte sehr schnell. Ihre Naivität war daran schuld. Die heimliche Wahrheit über Widder ist, dass sie tief und leicht verletzbar sind.

ariesDas macht Widder liebenswert, gleichermassen machen sie uns aber auch verrückt. Die strotzende Lebenskraft, die ihre Abenteuer befeuert, kann ihre Welt in ein Chaos stürzen, so wie die wilden Stuten, die Thrakien heimsuchten. Begegnungen mit Widdern sind so, dass die Leute darüber reden wollen. „Paula ist toll, aber immer, wenn ich mit ihr zusammen bin, dreht sich alles nur um sie.“ „Bob überfuhr mich einfach, er hörte mir überhaupt nicht zu.“ „Bei Cathy kannst du einfach nicht gewinnen; entweder gibst du nach oder du musst es wieder gutmachen.“ Bei einer Auseinandersetzung mit einem Widder sollte man sich bewusst sein, dass deren grösster Kampf eigentlich der ist, den sie mit sich selber führen. Der Kampf zwischen Herkules und Diomedes spiegelt eine innere Auseinandersetzung – zwischen dem mutigen Helden, der die Welt retten und verblüffen will, und dem verwöhnten Kind, das die Welt bestrafen will für seinen Schmerz. Die Stuten, die ihren früheren Meister fressen, symbolisieren den Widder, der die Kontrolle über sein eigenes Ego und über seine manchmal unbeholfenen Ausbrüche erlangt hat – die rohe Energie, die Unruhe und den Hass, der von seiner verletzten Naivität stammt.

Nicht alle Widderbeleidigungen sind beabsichtigt. Susan arbeitet bei einer Investitionsfirma und hat einen Widder als Chef. Sie erzählt mir, dass er immer wieder ihre privaten Gespräche stört. Er steht zu nahe bei ihr. Er ignoriert ihre sanften, aber stetigen Zeichen, dass er sich fernhalten soll. Wenn sie ihre Bürotür zumacht, öffnet er sie, ohne anzuklopfen und streckt den Kopf hinein, nur um zu sehen, was gerade los ist. Obwohl er zwar freundlich sei, immer lächelnd oder teilnahmsvoll, erzählt sie mir, fühle sie sich doch verfolgt und verletzt. Am Anfang befürchtete sie, er wolle etwas von ihr, bis sie realisierte, dass er jeden so behandelte. Trotzdem fühlt sie sich sehr frustriert. Er ist ihr Chef und sie weiss nicht, was sie tun soll.

In solchen Fällen kann die Astrologie hilfreich sein. Wie ein Wanderführer kann sie uns sagen, wem wir in der Menschenlandschaft begegnen werden und wie wir uns dabei verhalten. Obwohl wir wissen, dass nicht alle so sind wie wir, sind wir doch jedes Mal wieder schockiert, wenn wir diese Wahrheit entdecken. Der Tierkreis hilft uns dabei, die unterschiedlichen Stile zu erkennen, und er lehrt uns, wie wir effektiver mit ihnen arbeiten können. Schliesslich könnten wir sogar entdecken, dass wir vielleicht gar nicht so verschieden sind, wie wir dachten. Wir haben auch einen Mars und eines oder zwei Häuser im Zeichen Widder. Die dynamische Persönlichkeit von Widdern kann eine besonders spiegelnde Oberfläche sein; sie reflektiert uns oftmals jene Züge, die wir bei uns selber nicht sehen können.

ramIch sprach mit Susan über den Stil des Widders, indem ich ihr das Symboltier erläuterte – den gehörnten Schafbock. Seine Hörner stossen in Bereiche vor, die andere fürchten, oder in Bereiche, in die sie überhaupt nicht dürften. Dynamisch, motiviert und energisch, wirkt der Widder wie ein Tank - gefasst, involviert und nicht gerade gesellig. Die wenigsten von uns sind in einer Gegend aufgewachsen, wo sie echte Schafböcke beobachten konnten, aber die Begegnung mit den menschlichen Exemplaren dieser Rasse lehrt uns meistens, dass es nicht ratsam ist, ihnen direkt gegenüber zu treten. Sich mit einem Widder ein Duell zu liefern, verlangt kreativere Strategien.

Zwei meiner besten Freundinnen haben einen Widder-Merkur. Unsere Unterhaltungen können sehr lebhaft, weitreichend, anregend und tiefgründig sein. Merkur in Widder hat einen schnellen und wendigen Geist, und er redet tendenziell mehr als er zuhört. Die eine Freundin ist mir ständig voraus, sie beendet oder beginnt Themen, ohne dass ich die Chance hätte, zu antworten. Die andere ist bei fast jedem meiner Vorschläge – wenn ich sie zuerst mache - anderer Meinung, bis sie selber zu demselben Schluss gekommen ist. Ich habe mir keine Gedanken über ihre Horoskope gemacht. Ich wurde einfach ungeduldig und streitsüchtig. Manchmal habe ich meine Merkur-in-Widder-Freundinnen damit konfrontiert, was sie schockierte und verletzte, dann wurden sie ruhig und rauchten. Haben Sie gemerkt, wie ich den Widderschatten ausagiert habe, indem ich selber ärgerlich wurde und von mir selber eingenommen?! Ich musste meine Haltung wechseln. Wenn ich ehrlich akzeptieren konnte, wie ein Widder denken und sprechen muss, dann konnte ich mich entspannen, ja sogar Vergnügen an ihrem Gesprächsstil finden. Paradoxerweise öffnete sich dadurch in unseren Gesprächen Raum für uns beide. Wenn Susan darüber nachdachte, wie sie auf ihren Chef reagiert hatte, stellte sie fest, dass sie mit ihrer eigenen Aggression auf ihn geantwortet hatte. Als sie jedoch seine unbeholfenen Versuche, Kontakt aufzunehmen, akzeptiert hatte, konnte sie entspannen und den Tanz mit diesem Widder sehr viel galanter führen.

Die Ägypter nannten den Schafbock im Sternbild Widder „Amen-Ra.“ Als mächtiger Sonnengott war Amen-Ra dafür verantwortlich, jeweils das heilige Jahr zu erzeugen. Er wurde „der Bock, das virile Männliche, der heilige Phallus“ genannt, „welcher die leidenschaftliche Liebe weckt, der Bock aller Böcke.“[2] Die Assyrer nannten dasselbe Sternengebilde „Lu-Hun-Ga.“ Sie wiesen damit auf den Tag hin, an dem die Arbeiter für die Befruchtungsarbeit im Dattelhain anheuerten. Es war zwar der Wind, der die Palmen bestäubte, aber die Menschen hatten das nicht so im Gedächtnis, weshalb es der enorm wichtige Job dieser frühen Kultivatoren wurde, die Pollen von den männlichen Bäumen im Hain zu nehmen und jede einzelne weibliche Palme von Hand damit zu befruchten, in dem Moment, wenn diese ihre Blüte öffnete.[3] Diese mächtige, befruchtende Mission ist immer noch ein Teil der Widderberufung. Ich habe einige Widder gekannt, die sich bewegen konnten wie der Wind! Sie sind Antreiber; sie bewirken Dinge. Ich erinnere mich an ein Geschäftstreffen vor vielen Jahren mit einem Mann, der Sonne, Mond und Venus in Widder hatte. Sich nach vorne über den Tisch lehnend sagte er: „Ich bin völlig einverstanden, mit dem Fluss zu gehen, aber manchmal muss man den Fluss etwas vorantreiben!“

Widder ist die wiederbelebende Kraft in der Natur. Dies gibt uns ein gutes Motiv, um kreativ mit ihr zu arbeiten, ob wir diese rohe Kraft nun in uns selber oder ausserhalb antreffen. Wenn wir der manchmal aggressiven Widderenergie erlauben, frei zu fliessen anstatt sie zu blockieren, könnten wir feststellen, dass sie uns in eine neue Richtung führt, zu erfolgreicheren Zielen. Viele von uns scheitern jedoch dabei, dieses brillante Potential in unsern Widderhäusern oder mit unsern Widderplaneten zu verwirklichen. Was uns in eine andere Ecke des Widderschattenreviers führt – jene, in welcher unser risikofreudiger Pionier Betonschuhe trägt. Aber weshalb sollten wir unseren eigenen Widder stilllegen wollen?

Das Widderopfer

jason statueBei den Griechen wurde der Schafbock im Sternbild Widder goldfarben und geflügelt dargestellt, sein Fell wurde Jasons berühmte Beute. Davor hatte das Tier sein eigenes berühmtes Abenteuer gehabt mit den Kindern eines böotischen Königs. Deren Stiefmutter wollte sie umbringen lassen. In einer mutigen und riskanten Rettungsaktion packte der Widder die Kinder und brachte sie ausser Gefahr, aber beim Flug über die Dardanellen verlor das Mädchen Helle das Gleichgewicht. Sie fiel vom Rücken des Widders und ertrank. Der Widder setzte seinen Weg fort, bis er den Jungen Phrixus sicher an die Küste des Schwarzen Meeres gebracht hatte.

Der geflügelte Widder ist kein Superheld aus dem Fernsehen, der fähig ist, waghalsige Rettungen sowohl sicher als auch erfolgreich durchzuführen. Der Ritt des Widders ist holprig und fehlerhaft, sein Heldentum gefärbt mit Rücksichtslosigkeit. Das erinnert mich an den Tod des armen Admetos in Herkules’ Widderarbeit. Opfer sind ein wiederkehrendes Motiv bei Widderabenteuern. Als Phrixus in Sicherheit ist, bedankt er sich mit einem heiligen Ritual, in dem er den Widder opfert. Er tötet das Tier und hängt sein goldenes Fell in einen dem Kriegsgott Ares (oder Mars) gewidmeten Eichenhain, der von einem Drachen bewacht wird. Vielen Dank!

Der Widder war vielleicht das am meisten geopferte Tier in den biblischen Geschichten. Es war ein Widder, der mit Isaac den Platz tauschte, dem Sohn, den Abraham hätte töten sollen. Das ist der Preis seiner Macht. Der Widder ist dazu da, mutig nach vorne zu drängen – und er wird dafür geopfert – nicht etwa beherbergt, gestreichelt oder geliebt. Mit einem solchen Schicksal als Belohnung ist es nicht überraschend, dass viele von uns instinktiv den eigenen Widder zurückhalten. Wir mögen für ein neues Abenteuer entflammt sein, aber unterdrücken das sofort wieder aus Furcht oder wegen Selbstzweifeln. Wir fragen uns, was andere von uns denken, wenn wir versagen. Wir haben gesehen, wie andere, die vorangegangen sind, oft geendet haben: einsam und nicht wertgeschätzt. In Tat und Wahrheit ist unsere Bewunderung des Widdermuts mehr Theorie als Praxis. Wir schicken Widder voraus, damit sie unsern Weg ebnen, und selbst wenn wir ihnen folgen, trauen wir ihrer Gesellschaft nicht immer. Aber die Welt braucht sie. Der Dichter Louis Simpson ehrt im folgenden Zitat über das Trauma des 2. Weltkriegs eine heldenhafte Figur, die der Inbegriff von Widderenergie ist: „Für diese essenzielle menschliche Tugend, diesen Mut, der seinesgleichen sucht, gebe ich ihm ‚Punkte,’ einem Mann, der die Strasse hinaufschreitet, seiner Kompanie voraus, das Messer in Kampfstellung vor seinem Körper haltend.[4]

Herkules vollbringt seine Widderarbeit. Aber Admetos ist tot. Das ist ein wichtiges Element in dieser Geschichte. Wir können Admetos deuten als die verletzliche Seite des Widders – das unschuldige Kind, das in einer Rolle steckt, die zu gross ist, und deshalb immer und immer wieder geopfert wird. Wir können Admetos aber auch deuten als Beweis für die wacklige Führungsfähigkeit des Widders. Widder versagen vielleicht dabei, ihre Gefährten angemessen einzuschätzen. Sie mögen mit Unterstützung rechnen, wo keine ist. Widder tendieren dazu, sich selber auf andere zu projizieren: „Wenn ich das kann, kannst du es auch!“ In der „Du/Ich“ Polarität von Waage und Widder, kennt Waage die andern und verliert dabei oft sich selber, während Widder sich selber kennt aber die anderen verliert. In Situationen, die komplex und voller Nuancen sind, taumelt der Widder manchmal herum wie in einem Spiegelkabinett.

Admetos’ Tod hätte man voraussehen und verhindern können, doch Widder tendiert dazu, zu springen, ohne dabei allzu weit vorauszuschauen. In ihrem entzückenden alten Buch, „Was ist nur mit deinem Sonnenzeichen los?“, beschreibt Barbara Watters die „fehlende Voraussicht“ als fatale Schwäche des Widders. Als Beweis führt sie den Widder an, der ständig sein Konto überzieht, dem das Benzin mitten in der Wüste ausgeht, und der die Segel setzt, während das Sturmsignal an der Küste bereits am Blinken ist. „(Widder ist) grossartig für Experimente, bei denen er mit grosser Wahrscheinlichkeit seinen Kopf verliert,“ schreibt Watter, „etwa eine Kanne Benzin ins Cheminee zu giessen, um ein zögerliches Feuer zu beleben, oder ein Glas Jameson’s Twelve Year Old mit einem Wodka hinunterzuspülen.“ Widder ist nicht gemacht für Details. Wie bei allen Feuerzeichen, bleibt sein Verständnis einer Bilanz mit Aktiven und Passiven oft vage. Watters schreibt: „(Der Widder wird) dreissigtausend Dollar Hypotheken aufnehmen auf ein Haus, das zwanzigtausend Dollar wert ist, und dann die überschüssigen zehntausend Dollar für ein Boot, zwei Autos, einen Nerzmantel für seine Frau und eine Weltreise ausgeben, und das alles termingerecht.“[5]

ariesfrescoWir können versuchen, unsere geliebten Widder bei den Schultern zu packen und sie zu schütteln, damit sie uns zuhören. Aber letztlich müssen wir das Einzelgängertum ihrer Reise respektieren. Der tote Admetos ist eine warnendes Bild: Herkules hätte die Führung der Pferde nicht aus den Händen geben dürfen. Ein Widderheld muss alleine arbeiten. Das Leben eines Kämpfers verlangt Tapferkeit und Isolation. Eine meiner Klientinnen verabscheute diese Seite an ihrem Widderehemann. „In den Wochen vor den Sitzungen zu den jährlichen Verkaufszahlen seiner Firma,“ beklagte sie sich, „benimmt er sich wie die Kinder und ich existiere nicht einmal mehr für ihn. Zwischen uns geht eine Wand hoch, und er wird sehr egoistisch. Ich weiss, dass er sich vorbereitet, und ich würde gerne helfen. Er müsste wirklich nicht so kalt sein.“ Ich erzählte ihr, dass sein Verhalten keine Zurückweisung sei, sondern das logische Verhalten eines Widderkriegers. Seine Vorbereitung verlange einen gezielten Rückzug. Er opfere sich selber, damit er sich besser und effizienter in den Kampf stürzen könne. „Nun,“ bemerkte sie, „wenn die Schlacht vorbei ist, kommt er immer wieder zurück.“ Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. Ich interpretierte es so, dass ohne ihren manchmal ärgerlichen Widder ihre Welt nicht annähernd so unterhaltsam wäre.


  1. Deborah Warren, "Hercules' Eighth Labor: The Man-Eating Mares of Diomedes," First Things: A Monthly Journal of Religion and Public Life, (March, 2003).
  2. Zitat von: G.E. Budge in Barbara G. Walker, The Woman's Encylcopedia of Myths and Secrets, (HarperCollins), 1983, S. 841.
  3. Dr. E.C. Krupp, Beyond the Blue Horizon, (HarperCollins, 1991),
    S. 132.
  4. Louis Simpson, "Soldier's Heart," The Best American Essays 1998, edited Cynthia Ozick and Robert Atwan, (Houghton Mifflin Company, 1998),
    S. 214-15.
  5. Barbara H. Watters, What's Wrong with Your Sun Sign?, (Valhalla Paperbacks, 1970), S. 5-6.

Autorin: Dana Gerhardt

Dana Gerhardt schloss ihr Studium am Occidental College in Los Angeles mit Magna Cum Laude ab und graduierte in Literatur an der Columbia University und SCULA. Sie hat viele Jahre in großen Firmen gearbeitet, bevor sie professionelle Astrologin wurde. Sie hält Vorträge und Seminare und schreibt für zahlreiche Astrologie-Webseiten und Zeitschriften. Dana Gerhardt zählt sich sowohl zu den Gläubigen als auch zu den Skeptikern, die sich nicht mit den Annahmen der Astrologie zufrieden gibt, bevor sie nicht den Beweis im Leben der Menschen greifen und schmecken kann. Aus diesem Grund schreibt sie in ihren Artikeln gerne über Bekenntnisse und Anekdoten aus dem richtigen Leben.

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Übersetzt aus dem Englischen von Trudy Baumann

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